Wissenschaft beschäftigt sich mit Nachbarschaftsstrukturen

Die Frage, wie Zusammenarbeit entstehen kann, ist ein Thema, das Wissenschaftler:innen seit Langem beschäftigt. In verschiedenen Disziplinen wie Biologie, Soziologie, Wirtschaft und Politikwissenschaft wird untersucht, unter welchen Bedingungen Gruppen von Individuen erfolgreich zusammenarbeiten können. Die Spieltheorie, die sich mit der Interaktion von Individuen innerhalb einer Gruppe beschäftigt, bietet hier aus mathematischer Sicht Antworten. Die Chatterjee-Gruppe am ISTA nutzt diese Theorie, um wichtige Fragen der Informatik zu beantworten. In ihrer neuesten Studie, die im Journal PNAS veröffentlicht wurde, zeigt sich, wie bestimmte Netzwerkstrukturen benachbarter Individuen die Zusammenarbeit innerhalb eines Systems unterstützen können.

Das Gefangenendilemma, ein zentrales Konzept der Spieltheorie, wurde erstmals 1944 im Werk „The Theory of Games and Economic Behavior“ von Oskar Morgenstern und John von Neumann vorgestellt. Es beschreibt ein einfaches Szenario, das in vielen realen Situationen vorkommt. Laut einem Doktorand am ISTA und Erstautor der Studie, handelt es sich um ein Modell, in dem zwei Gefangene entscheiden müssen, ob sie kooperieren oder sich gegenseitig verraten. Kooperieren beide, teilen sie sich eine Belohnung. Verrät einer den anderen, erhält nur der Verräter einen größeren Vorteil. Verraten sich beide, gehen alle leer aus. Diese Logik lässt sich auf eine Vielzahl von Situationen übertragen, von internationalen Konflikten bis hin zu alltäglichen Entscheidungen, wie der Frage, wer die Spülmaschine in einem gemeinsamen Haushalt ausräumt.

Trotz der Annahme, dass Verrat aus individueller Sicht am vorteilhaftesten ist, zeigt sich in der Praxis häufig eine hohe Kooperationsbereitschaft. Dies wirft die Frage auf, wie diese Kooperation zustande kommt. Der Doktorand erklärt, dass Mechanismen wie die Reziprozität eine Rolle spielen. Sie basiert auf dem Prinzip, dass Vertrauen durch wiederholte Handlungen aufgebaut wird und dies Kooperation begünstigt. Ein Beispiel: Wenn ein Kollege regelmäßig die Spülmaschine einräumt, könnte man sich dazu entschließen, ihm beim Ausräumen zu helfen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Struktur des sozialen Netzwerks, also wie die Individuen miteinander verbunden sind. Um diese Strukturen zu untersuchen, verwenden die Forscher:innen „räumliche Spiele“.

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In diesen Spielen werden Individuen auf einem Gitter platziert und interagieren je nach ihrer räumlichen Nachbarschaft. Beobachten sie, dass ihre Nachbarn erfolgreich sind, übernehmen sie deren Strategien. Diese Netzwerkkonstrukte beeinflussen die Ausbreitung von Kooperation. Die Entstehung solcher Netzwerke erinnert an das klassische Spiel Tetris, bei dem einzelne Blöcke die Platzierung der folgenden beeinflussen können, was das gesamte System verändert.

Man erklärt, dass solche zusammenhängenden Strukturen die Kooperationsrate erhöhen können. In ihrer aktuellen Studie untersuchten die Forscher:innen, welche Strukturen optimal sind, um Kooperation zu fördern. Sie orientierten sich dabei an natürlichen Prozessen wie der Evolution, bei der strukturelle Veränderungen die Dynamik von Populationen beeinflussen. Ein bekanntes Beispiel sind die Darwin-Finken, deren Schnabelformen sich an die unterschiedlichen Nahrungsquellen auf den Galápagos-Inseln angepasst haben.

Durch ihren neuen mathematischen Ansatz entdeckten die Forscher:innen, dass bestimmte Netzwerkstrukturen, die einer Sternenkette ähneln, die Zusammenarbeit besonders fördern. Diese Strukturen erfordern, dass Gebiete mit vielen Nachbarn direkt neben solchen mit wenigen Nachbarn liegen, was überraschend starke Effekte auf die Kooperation hat.

Wie dieses Modell auf die Gesellschaft angewendet werden kann, bleibt abzuwarten. In den kommenden Monaten will das Team seine Erkenntnisse auf weitere Spielszenarien und Umgebungen übertragen. Es besteht die Möglichkeit, dass diese Strukturen auch in der Biologie Anwendung finden, etwa in der Forschung zur Beschleunigung der Evolution in „Bioreaktoren“, Geräten, die in der Mikrobiologie und Biotechnologie zur Kultivierung von Mikroorganismen genutzt werden.

Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von Institute of Science and Technology Austria/ Veröffentlicht am 08.12.2024